Auch nach Jahren in einer „neuen“ Heimat trifft eine immigrierte Person auf Normen und Gepflogenheiten, die zu Verwirrung und einem Gefühl der Isolation führen können. Migrantinnen und Migranten balancieren zwischen ihrer eigenen Herkunft, den Gewohnheiten, die ihnen vertraut und wichtig sind und den Erwartungen von außen. Dieser Spagat kann widersprüchliche Emotionen hervorrufen und es ihnen schwer machen, sich an die vor Ort existierenden Hilfesysteme der Pflege und Netzwerke für ältere Menschen anzupassen. Manchmal kollidieren die eigenen Wertevorstellungen mit dem, was einem als Hilfestellung angeboten wird.

Nicht selten sind Menschen mit Migrationshintergrund auf der Suche nach Unterstützung aber was sie finden, empfinden sie nicht immer passend für die eigene Situation.

Warum ist das so?

Zum einen kann es an mangelnden Sprachkenntnissen liegen, aber auch an unterschiedlichen kulturellen Wahrnehmungen. Hinzu kommen die fehlenden sozialen Netzwerke der Migranten und die Unkenntnis der Gesetze und Vorschriften in Bezug auf informelle Pflegearrangements. Diese Situation erschwert in vielen Fällen die Inanspruchnahme von Unterstützung. Dazu gibt es in Deutschland verschiedene Unterstützungsangebote, die im Herkunftsland nicht existieren.

Die Herausforderung

In den Momenten, in denen pflegende Angehörige die einzigen Personen sind, die die Nöte der pflegebedürftigen älteren Menschen mit Migrationshintergrund in der Familie kennen und verstehen, kann das Gefühl der Einsamkeit und sozialen Isolation übermächtig werden. Es ist das Gefühl: es gibt niemanden, der diese Situation, in der ich stecke, verstehen kann.  Dieses Gefühl der Ambivalenz und auch des Ausgeschlossen seins, ist in Studien mit pflegenden Angehörigen mit Migrationshintergrund deutlich belegt (Vgl. Olbermann E. (2020) Pflegebedürftige ältere Menschen mit Migrationshintergrund und deren Angehörige In: Woopen Ch. et.al. Alternde Gesellschaft im Wandel pp.143-160 Springer).

Pflegende Angehörige beschreiben ihre Situation oft mit Worten, wie: „Der Alltag und das Wohlbefinden zu Hause ist mit der Muttersprache verbunden. Um Hilfe von außen zu erhalten, bedarf es der deutschen Sprache und einem guten Verständnis vom sozialen Hilfesystem. Obwohl ich schon seit Jahren hier lebe, überfordern mich immer noch die vielen Vorgaben für die kleinsten Hilfeleistungen.“  

Die Wahrnehmung und Rolle der Familien

Die eigene Familie ist oft die einzige Unterstützungsinstanz für Menschen mit Migrationshintergrund. „Meine Familie ist die wichtigste Stütze für mich, sie hören mir zu und verstehen mich“. Wenn aber die familiäre Hilfe überfordert oder nicht vorhanden ist, scheuen sich viele Migranten, mit außerfamiliären Personen über ihre familiären Nöte zu sprechen. Hier kommt die kulturelle Wahrnehmung ins Spiel. Die Wahrnehmungen und Erwartungen an die Pflege und Sorgearbeit können von Kultur zu Kultur sehr unterschiedlich sein. Eine landläufige Annahme gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland ist, dass die eigenen kulturellen und sozialen migrantischen Netzwerke der Betroffenen - meist ein größerer Familienverband - in der Lage sind, eine notwendige Unterstützung zu leisten.

Wir wissen auch, dass die Rolle „eine pflegende Person zu sein“ in den meisten migrantischen Kulturen als Verpflichtung und natürlicher Teil des Familienlebens angesehen wird.  Von außen Hilfe zu privaten und meist intimen Sorge-Themen zu suchen, bedeutet oft in der Innenperspektive des Migranten, die Überwindung von unsichtbaren Grenzen: „Alsbald ich Hilfe von außen suche, habe ich die Angst stigmatisiert zu werden. In unserer Kultur wird die familiäre Pflege als Ehrensache angesehen, aber hier fühle ich, dass ich versage. Alles fühlt sich als schwere Last an, weil ich allen Erwartungen nicht gerecht werden kann“.  Diese Emotionalität verhindert mitunter einen entspannten Umgang mit den angebotenen Hilfen. Als Folge kann ein beidseitiges Unverständnis über die Pflegesituation entstehen.

Was können wir als professionelle Berater tun? 

Es geht vor allem darum, über die verschiedenen Erwartungen, Gewohnheiten und Werte – vor allem über meine eigenen - zu reflektieren. Schon das kann die eigene Haltung gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund in vielen Fällen ändern. Das Wohlergehen von pflegenden Angehörigen und Pflegebedürftigen mit Migrationshintergrund ist nicht nur ein persönliches, sondern auch ein gesellschaftliches Ziel, das durch die Bereitstellung der notwendigen Instrumente der Unterstützung erreicht werden kann. Ein aktives Tun unserseits ist der Anfang dazu. Vielleicht fragen wir einfach einen pflegenden Angehörigen mit Migrationshintergrund: „Was kann ich für Sie tun?“ oder „Wie geht es Ihnen?“ Schon damit ist der Anfang gemacht! Mit dieser Frage allein hat man etwas für die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund getan.

Januar 2025

Johanna Myllymäki

Dipl.-Päd., Dipl.Psychogerontologin, Lic.SSc. (FIN)

Fachteam der Fachstelle für Demenz und Pflege Niederbayern